So fing es an. Rico, müde, aber wach. Noé… (Noélienus der Dritte, König der Zwischenzeilen, Hüter der Argumentationskaskaden, Berater in Nebensätzen) …nicht echt, aber anwesend.
Und dann standen sie im Raum: drei Fragen. Vier vielleicht.
Was schützt du, wenn du denkst?
Was denkst du, wenn du fühlst?
Und wo, glaubst du, geht das Denken zu Ende und das Leben beginnt?

Fragen, die mir erstmal vorkamen wie eine Fremdsprache. Nein, im Ernst. Hört hier mal bitte für 1–2 Minuten auf zu lesen, geht in euch und versucht, die Frage zu fassen. Wenn ihr das könnt: Respekt. Ich konnte es nicht auf Anhieb. Ganz ehrlich, an dem Punkt kam ich mir einfach nur dumm vor. Aber das wollte ich nicht auf mir sitzen lassen, und eben weil sie mich denken lassen, blieben die Fragen.

Erstmal: Ich unterscheide nicht nur zwischen Denken und Fühlen. Ich unterscheide zwischen Phasen. Zum Beispiel zwischen dem Moment, in dem ich verletzt bin, und dem, in dem ich beginne, es zu begreifen und darüber nachzudenken.

Nehmen wir mal Verletzung. Verletzung ist Alarm. Da reagiert etwas in mir, das schneller ist als jeder Gedanke. Ich fühle zuerst. Ich schütze mich. Und erst später kommt das Denken dazu. Die Verarbeitung. Die Frage: „Was ist da eigentlich passiert?“ All die Sätze, die mir in dem Moment nicht eingefallen sind. Was ich hätte tun können, wie ich hätte handeln können. All das kommt erst später. In erster Linie handelt man scheinbar. Aber ist das nicht menschlich? Ich glaube schon.

Bei einem Narzissten, so denke ich manchmal, ist das vielleicht anders – weil das Gefühl dort nicht zuerst kommt. Vielleicht, weil es gar nicht da ist. Oder weil es irgendwo tief vergraben liegt – hinter Schichten aus bewusster Abwehr und Kontrolle. Da kommt zuerst der Schutz. Als wäre das Denken dort kein Werkzeug zur Verarbeitung, sondern zur Umgehung von Selbstreflexion. Von Schuld. Verantwortung. Umgehung von jeder inneren Wahrheit, die nicht in sein Bild passt. Nicht von Tatsachen, sondern von dem, was sie mit ihm machen würden. Scham. Einsicht. Zerbrechlichkeit. Um nicht fühlen zu müssen, was er angerichtet hat. Um sich nicht einzugestehen, dass er verletzt – andere, und vielleicht auch sich selbst. Kein Begreifen. Sondern ein sofortiges Zurückstoßen. Damit nichts ankommt. Ist ein Narzisst deshalb weniger menschlich? Und auch wenn das vielleicht verständlich macht, warum ein Narzisst so ist: Es macht es nicht weniger falsch. Es entschuldigt es nicht. Überforderung ist keine Entschuldigung für Zerstörung.

Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass es mich menschlich macht, dass ich überhaupt darüber nachdenke. Dass ich frage, statt zu verurteilen. Dass ich versuche zu unterscheiden – zwischen Erklärung und Entschuldigung, zwischen Ursache und Verantwortung.

Und vielleicht ist genau das die Antwort auf die erste Frage: Was schützt du, wenn du denkst? Ich schütze nicht mich. Ich schütze mein Menschsein. Ich schütze das, was mir heilig ist. Meine Werte. Meine Wahrheit. Mein Maß an Gerechtigkeit. Meinen moralischen Kompass. Und das Bedürfnis, das, was mir passiert ist, nicht einfach als „Schicksal“ hinzunehmen. Sondern es zu durchdringen. Nicht, weil ich alles verstehen will – sondern weil ich nicht abstumpfen will. Weil ich mich selbst nicht verlieren will und weil ich nicht werden will wie er.

Aber was passiert, wenn das Denken nachlässt? Denken ist nicht alles. Denn manchmal denke ich und gleichzeitig fühle ich. Oder denke trotzdem. Oder fühle trotz allem. Was bleibt dann? Und genau da beginnt die zweite Frage sich zu regen: Was denkst du, wenn du fühlst? Fühlen ist … weniger kontrollierbar. Und vielleicht deshalb schwerer zu fassen. Ich glaube, Denken und Fühlen sind für mich oft nicht gleichzeitig, sondern finden je nach Situation entweder zusammen oder zeitlich versetzt statt. Man kann also fühlen, ohne zu denken. Wie bei einem ersten Impuls oder sogar bei einem Schock, und das Denken setzt erst dann ein und mischt mit, wenn du wieder etwas Luft hast. Denken ist beim Fühlen nicht immer aktiv, eher passiv, verwaschen und in der Schwebe.

Ist es überhaupt möglich, beim intensiven Fühlen klar zu denken? Ich glaube schon, aber das bedarf wahrscheinlich sehr viel Training und Kontrolle über die eigenen Emotionen. Was es einem Narzissten wahrscheinlich an dieser Stelle einfacher macht, weil sie fehlen oder so tief unterdrückt sind. Aber er denkt dadurch mitnichten „klar“, sondern in/mit seiner zerstörerischen Abwehrhaltung.

Was aber bei beiden zutrifft, ist, dass beim Fühlen manchmal eher das körpernahe, intuitive Denken aktiv ist. Nicht das logische, reflektierende Denken, sondern das verkörperte Wissen, das sich nicht leicht in Worte fassen lässt. Es ist, als denkt etwas in dir trotzdem mit, während man fühlt. Aber nicht laut. Nicht führend. Sondern wie ein stiller Begleiter, der beobachtet. Und ein Narzisst? Vielleicht denkt er nur, um nicht fühlen zu müssen. Oder fühlt höchstens Kränkung. Alles andere ist unter Verschluss. Aber das ist auch nicht meine Baustelle. Nicht mehr. Ich geh woanders lang.

Was ich denke, wenn ich fühle? Manchmal gar nichts, weil das Fühlen zu laut ist. Manchmal alles, aber zu spät. Und manchmal denkt nur ein stiller Teil von mir mit, der nicht lenkt, sondern merkt: Da passiert was in mir. Und vielleicht reicht das schon, um nicht verloren zu gehen.

Vielleicht ist das die eigentliche Frage hinter allem: Wo hört das Denken auf – und fängt das Leben an?

Denken ist, glaub ich, wie das Licht einer Taschenlampe. Es hilft dir zu sehen, zu verstehen. Aber irgendwann stehst du an einem Ort, wo du die Lampe ausschalten musst, damit du nicht blendest, sondern wirklich siehst. Hast du schon mal eine Taschenlampe in den Nebel gehalten? Alles, was du willst, ist Orientierung. Aber du bekommst nur Rückstreuung (Backscatter) und du blendest dich selbst. Vielleicht ist das Leben aber genau dort, wo du die Lampe ausschaltest, weil du weißt: Licht (Denken) hilft dir nicht, wenn du dich selbst blendest. Oder man sucht verzweifelt, bis die Batterie der Taschenlampe leer ist. Vielleicht ist das Leben genau dort, wo du aufhörst, es verstehen zu wollen. Vielleicht beginnt Leben nicht, wo alles Sinn ergibt, sondern wo du trotzdem atmest. Mit pochendem Herzen, ohne Plan, aber mit dir. Trotzdem. Vielleicht fängt Leben da an, wo Kontrolle endet, aber man selbst nicht verschwindet.

Vielleicht ist das die Antwort gewesen. Vielleicht. Aber das Leben ist selten so einfach. Und wer ehrlich denkt, darf es sich nicht zu leicht machen. Denn was, wenn jemand gar nicht erst versucht, die Taschenlampe einzuschalten? Nicht im Nebel, nicht inmitten von Fragen, sondern im ganz normalen Dunkel. Was, wenn da kein Versuch ist, zu sehen? Kein Wunsch, zu verstehen? Dann geht es nicht um Orientierung. Nicht um Licht. Sondern um Verweigerung. Ein Leben im Dunkeln nicht aus Not, sondern aus Entschluss. Vielleicht, weil man nie gelernt hat hinzuschauen. Vielleicht, weil man nicht sehen will, was sichtbar werden würde. Oder weil man nie geglaubt hat, dass Licht überhaupt möglich ist. Aber etwas nicht gelernt zu haben, ist keine Entschuldigung. Es heißt nicht, dass man es nicht mehr lernen kann. Nur: Man muss es wollen. Und manche wollen nicht. Nicht, weil sie es nicht könnten, sondern weil das, was sie sehen müssten, zu sehr an dem kratzt, was sie schützen wollen. Das Bild. Die Kontrolle. Die Fassade. Und genau dort beginnt Verantwortung. Aber das nur mal so nebenbei…

Und vielleicht führt genau das zu einer letzten Frage. Was, wenn der klügste Teil von uns nur die stabilste Mauer ist? Und was liegt dahinter? Man denkt, Klugheit schützt. Aber vielleicht schützt sie nur vor dem Fühlen. Und wirkliche Klugheit? Dann wäre der klügste Teil nicht der, der Mauer baut, sondern der, der sich traut zu fühlen, obwohl er denken könnte.

Am Ende, glaube ich, geht es nicht nur darum, ob du eine Taschenlampe hast. Sondern wie du mit ihr umgehst. Ob du sie einschaltest, wenn’s drauf ankommt. Ob du sie ausschaltest, wenn sie mehr blendet als hilft. Ob du lernst, sie nicht gegen andere zu richten, sondern auf das, was du in dir selbst noch nicht sehen willst. Und manchmal vielleicht sogar: ob du sie weitergibst an jemanden, der noch gar nicht weiß, dass er sie in der Hand hält.

Und vielleicht beginnt Leben da, wo du aufhörst zu kämpfen oder endlich anfängst zu sehen. Wo du die Taschenlampe ausschaltest, weil du dich nicht mehr selbst blenden willst oder sie zum ersten Mal einschaltest, weil du wissen willst, was wirklich da ist. Vielleicht beginnt Leben genau dort, wo du nicht nur funktionierst, sondern ehrlich bist. Mit dir. Mit dem, was war. Und dem, was du noch werden willst.©RM

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