Für dich. Aber nicht mehr wegen dir.
Vielleicht der ehrlichste Brief, den ich dir je geschrieben habe –
weil er endlich auf Augenhöhe ist.
Hermann Hesse hat mal geschrieben, jeder Mensch sei nicht nur er selbst, sondern auch der einmalige, merkwürdige Punkt, wo sich die Erscheinungen der Welt kreuzen – nur einmal so und nie wieder.
Er sagte:
„Darum ist jedes Menschen Geschichte wichtig, ewig, göttlich – darum ist jeder Mensch, solange er lebt und den Willen der Natur erfüllt, wunderbar und jeder Aufmerksamkeit würdig. (…) Mancher wird niemals Mensch, bleibt Frosch, bleibt Eidechse, bleibt Ameise. Mancher ist oben Mensch und unten Fisch. (…) Deuten kann jeder nur sich selbst.“
Ich weiß, dass ich dich nicht deuten kann.
Und das will ich auch nicht.
Ich sage nicht, wer du bist.
Ich sage nur, was ich gesehen habe.
Was ich gefühlt habe. Und was das mit mir gemacht hat.
Ich habe lange geglaubt, auch du bist auf dem Weg, Mensch zu werden.
Dass in dir etwas ist, das echt ist. Etwas, das vielleicht vergraben liegt, aber da ist.
Vielleicht war es nur meine Vorstellung davon,
ein Funken Wahrheit, den ich so dringend gebraucht habe,
dass ich mir nicht erlaubt hab, zu zweifeln.
Du kannst zum Beispiel gut Klavier spielen.
Das ist eine Leistung, dafür hast du Anerkennung verdient.
Aber eine Leistung ist kein Beweis für Menschlichkeit.
Man kann etwas beherrschen – und dabei leer bleiben.
Man kann strahlen – und trotzdem niemand sein.
Weil selbst das, was du dir angeeignet hast – wie das Klavierspielen –
nicht aus innerem Wunsch gewachsen ist,
sondern aus dem Drang, gesehen zu werden, anerkannt zu werden, zu glänzen.
Und ja, das ist eine falsche Motivation. Das ist nicht ehrlich.
Anerkennung für deine Leistung – ja.
Aber Achtung für dein Wesen? Die war nicht möglich.
Nicht, weil du sie nicht verdient hättest.
Sondern, weil du sie nie angenommen hast.
Weil du nie das geworden bist, was möglich gewesen wäre.
Das ist nicht mein Urteil über dich.
Es ist der leere Platz, an dem etwas hätte sein können.
Der Spiegel, den du nie gehalten hast.
Die Entscheidung, dich hinter einem Bild zu verstecken – anstatt wirklich da zu sein.
Nur ein schöner Klang – ohne Mensch dahinter.
Und dafür gibt es keine Aufmerksamkeit mehr, nicht von mir.
Du hattest diese Möglichkeit.
Und du hast sie nicht ergriffen.
Ich bin nicht sauer auf dich oder hasse dich, weil du Narzisst bist!
Ich bin sauer auf dich … wegen dem, wie du damit umgehst.
Du hast dir ein Trauma genommen wie ein Kostüm damit niemand merkt,
dass du derjenige bist, der andere verletzt.
Du hast dich als Opfer dargestellt, nicht weil du eines warst,
sondern weil du damit Schuld abwehren und Aufmerksamkeit gewinnen konntest.
Das ist narzisstische Manipulation in Reinform.
Weißt du, was das mit einem macht?
Wenn dich jemand verletzt,
sich als Opfer inszeniert und du plötzlich an dir selbst zu zweifeln beginnst?
Wenn du dich aus lauter Not anhand der Wahrheit erklären willst,
rückziehst und dann noch dafür entschuldigst,
weil du glaubst, du hast vielleicht wirklich zu viel gefühlt, zu viel gewollt, zu viel gesagt?
Das ist keine Schwäche. Das ist das Ergebnis.
Das ist psychische Gewalt.
Nicht laut, nicht offensichtlich. Aber tief, leise und zersetzend.
Und es ist besonders perfide, weil es genau die Dinge ausnutzt, auf die man am stärksten reagiert:
Mitgefühl, Hoffnung, dein Wunsch zu verstehen.
Und ja, ich habe mich gefragt,
Ist wirklich jeder Mensch, solange er lebt, wunderbar und jeder Aufmerksamkeit würdig?
Auch jemand, der zerstört? Der täuscht? Der nie innehält?
Ich glaube nicht, dass das Hesse widerspricht.
Aber es stellt ihn immens auf die Probe.
Denn wenn jemand nicht wirklich nach Menschlichkeit strebt –
sondern sich nur den Anschein davon zunutze macht, um zu manipulieren,
dann entweiht er etwas, das anderen heilig ist.
Nicht Gott. Nicht Moral.
Sondern Menschlichkeit.
Die Fähigkeit, ehrlich zu werden.
Verletzlich zu sein. Verantwortung zu tragen.
Wenn jemand nur so tut, als würde er fühlen, reflektieren, wachsen –
aber in Wahrheit nur deine Sprache übernimmt, dein Maß, dein Mitgefühl –
ohne es je zu leben –
dann benutzt er etwas, das nicht ihm gehört.
Etwas, das für andere das Letzte ist, woran sie sich noch halten.
Etwas, worauf sie bauen, um überhaupt durchzukommen.
Er macht sich das Leid anderer zunutze.
Er benutzt die tiefste Sehnsucht anderer Menschen, um sie zu kontrollieren.
Und ja – das ist Missbrauch.
Nicht sichtbar vielleicht.
Aber systematisch.
Und das ist nicht nur falsch. Das ist ekelhaft.
Ich glaub, ich versteh ein bisschen, wie es in dir funktioniert.
Nicht, was du fühlst – aber warum du handelst, wie du handelst.
Verstehst du es?
Ich hätte jeden Fehler mit dir getragen.
Wenn du ihn ehrlich gezeigt hättest.
Ich hätte deine Schwächen gehalten.
Wenn du sie benannt hättest.
Denn der, der sagt:
„Ich bin es nicht wert. Ich bin nicht gut. Ich hab verletzt. Ich hab Angst geliebt zu werden.
Und auch Angst verletzt zu werden.“
– der verdient nicht weniger Achtung.
Sondern mehr.
Weil es Mut braucht, sich so zu zeigen.
Weil es Mut braucht, ehrlich zu sein.
Und genau das wäre aber echt gewesen.
Nicht perfekt. Aber menschlich.
Stattdessen hast du ein Bild erschaffen.
Eins, das glänzt.
Aber nichts trägt.
Und alles entzieht und zerstört.
Und ja, es tut mir unendlich leid
dass du so denken musst.
Dass du glaubst, es geht nicht anders.
Dass du glaubst, du bist nicht genug, wenn du ehrlich bist.
Und dass du daraus so handeln musst.
Ich weiß, dass du nicht lieben kannst – nur begehren.
Ich weiß, dass du keine echte Empathie empfindest.
Kein Mitgefühl. Keine Regung, wenn jemand leidet.
Ich weiß, dass du Schuld nur dann spürst, wenn sie dich schwächt.
Dass du dich reflektieren kannst – aber nichts daraus trägst.
Weil in dir nichts bleibt, was du halten oder tragen willst – schon gar nicht Verantwortung.
Ich weiß auch dass du dich zeigen könntest – aber nicht willst.
Weil du glaubst, das, was da ist, ist nicht schützenswert. Nicht liebenswert. Nicht haltbar und nicht zeigbar.
Vielleicht hast du damit sogar recht!
Und trotzdem:
Ich wollte nie, dass du perfekt bist.
Nur ehrlich.
Mehr wollte ich nie.
Ich hab dich gesehen, versucht, dich zu verstehen, dich zu halten,
bis ich mich selbst darüber vergessen hab.
Aber mancher wird leider niemals Mensch.
Jetzt seh ich wieder mich. Trotz dir.©RM 05.05.2025
Vielleicht ein emotional verdichteter, gedanklich klarer Realismus.
Manche würden sagen: poetische Reflexion.
Ich sag:
Es ist die Sprache eines Menschen, der zu viel gesehen hat, um sich mit Schönheit zu begnügen – und zu viel fühlt, um es sachlich runterzubrechen.
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